Umgekehrtes Training

Veröffentlicht am 25. Januar 2025 um 10:58

Als Pferdebesitzer haben wir oft eine Menge Wünsche, Ziele oder konkrete Trainingspläne für die Zeit mit unserem Pferd. Wir haben eine Vorstellung davon, was es noch lernen soll, welche Lektionen wir üben und verbessern wollen, welche Schwierigkeiten noch zu bewältigen sind.

Einen Plan zu haben, ist sehr wertvoll - jedoch halten wir Menschen uns auch allzu gern an Plänen fest und werden emotional, wenn es nicht so klappt wie gedacht.

Stell Dir vor, Du gehst mit Deinen Stallkollegen ausreiten und Ihr müsst über einen kleinen Bach setzen - alle Pferde überqueren den Bach mehr oder auch weniger gelassen, nur Dein Pferd stemmt die Beine in den Boden und macht keinen Schritt. Du versuchst anfangs noch, ihm geduldig und mit viel Einfühlungsvermögen gut zuzureden, doch je mehr Du versuchst, Dein Pferd in Richtung Bach zu bewegen, umso heftiger werden seine Abwehrreaktionen. Langsam wird die Gruppe ungeduldig oder wenigstens glaubst Du, dass es sie ziemlich nerven muss, dass es so lange dauert.

Ganz gleich, wie die Situation ausgeht: in solchen und ähnlichen Situationen werden wir Menschen oft emotional. Ob Du letztendlich Dein Pferd mit immer strengeren Hilfen zu einem hektischen Satz über den Bach bewegst oder ob Ihr alle gemeinsam (oder nur Du und Dein Pferd) den Rückweg antretet, ohne den Bach zu überqueren: in einem oder auch beiden Fällen bist Du möglicherweise emotional geworden und warst entweder sehr wütend auf Dein Pferd oder bist nach dem Misserfolg enttäuscht und fragst Dich, warum alle anderen Pferde über den Bach gehen, nur Deines nicht.

Oft ist die Geschichte hier noch nicht zuende. Nach dieser Erfahrung möchtest Du mit Deinem Pferd üben, den Bach zu überqueren. Ihr geht immer wieder zum Bach und probiert es. An manchen Tagen klappt es vielleicht ganz gut, an anderen nicht so. Im besten Fall kannst Du das gelassen hinnehmen und Deinem Pferd die Zeit geben, die es braucht. Im schlechtesten Fall aber wird der Nachdruck, mit dem Du das Überqueren erzwingen möchtest, mit jedem „Nein“ Deines Pferdes größer. Am Ende kannst Du vielleicht nicht einmal mehr sagen, warum es Dir so wichtig ist - es gäbe ja auch andere Strecken für den Ausritt. Aber allein die Tatsache, dass Dein Pferd sich so verbissen weigert, lässt Dich umso verbissener üben.

Umgekehrtes Training heißt dann: nicht mehr Dein Pferd wird trainiert, sondern Du selbst lässt Dich von Deinem Pferd trainieren. Stell Dir selbst die Frage:

„Kann ich es aushalten, zum Bach zu gehen und gar nicht erst zu versuchen, ihn zu überqueren?“

Damit diese Frage nicht negativ bleibt, kannst Du andere, positive Ziele formulieren: „Wir gehen zum Bach und setzen uns einfach nur ans Ufer, um zu grasen.“

Oder: „Wir gehen nur so weit Richtung Ufer, wie mein Pferd sich wohlfühlt. Dann gehen wir wieder nach Hause.“

Oder: „Ich biete meinem Pferd an, am Bach zu trinken. Wenn es das möchte, ist das okay. Wenn es nicht möchte, ist das auch okay.“

Es ist kein Versagen, zum Bach zu gehen und ihn nicht zu überqueren und Dein Pferd wird dadurch nicht lernen, dass es „machen kann, was es will“. Denn: in dieser Trainingseinheit geht es nicht um Dein Pferd. Es geht um Dich und darum, ob Du es aushalten kannst, nicht an Deinem ursprünglichen Ziel festzuhalten.

Was Dein Pferd dabei lernt: Eure Beziehung ist Dir wichtiger, als an Deinem Ziel festzuhalten.

Und wenn ihm das einmal klar geworden ist, folgt es Dir vielleicht eines Tages ganz gelassen über den Bach, ohne, dass Du es ein einziges Mal geübt hast. Und wenn nicht: wie schlimm wäre das wirklich?

 

Was fällt Deinem Pferd schwer und macht Dich emotional - und wie wichtig ist es wirklich, dass Ihr dieses Ziel erreicht? Und wie wichtig ist es, es kurzfristig zu erreichen? Geht es um Sicherheit? Dann müssen wir Menschen manchmal tatsächlich sehr konsequent sein. Wenn nicht: vielleicht ein perfektes Trainingsziel für ein umgekehrtes Training, das Eure Beziehung nachhaltig verändern wird.

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